Grabsteine im Internet – (K)eine Frage des Datenschutzes?

Grabstein


Seit einigen Jahren und mit zunehmender Tendenz werden öffentlich zugängliche Grabsteine auf kommunalen oder kirchlichen Friedhöfen fotografiert zwecks Veröffentlichung der Fotografien im Internet. Hintergrund sind häufig Initiativen zur Ahnenforschung / Genealogie. Die Aufschriften der Grabsteine, meist mit Vor- und Nachnamen sowie den Lebensdaten der Verstorbenen, teilweise mit darüberhinausgehenden Informationen zu Geburts- und / oder Sterbeort, Beruf etc., werden so weltweit der Allgemeinheit zugänglich. Des einen Freud‘, des anderen Leid: Die Arbeitserleichterung für Ahnenforscher verärgert und stört teilweise die Hinterbliebenen. Typischerweise liegt weder eine Zustimmung der Nachkommen bzw. Familie der Verstorbenen, noch der Nutzungsberechtigten der Grabstelle, noch der Friedhofsverwaltung bzw. des Rechtsträgers vor. Sind Grabstein-Fotografien datenschutzrechtlich zulässig? Und gibt es vielleicht beim „Blick über den Tellerrand“ außerhalb des Datenschutzrechtes Grenzen für den „Friedhof im Internet“?


Anwendbarkeit des Datenschutzrechts

Das für die Friedhöfe und deren Tätigkeit geltende Datenschutzrecht differiert in Abhängigkeit vom jeweiligen Rechtsträger. So sind kommunale Träger den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung, teils in Verbindung mit Ausführungsgesetzen des jeweiligen Bundeslandes unterworfen. Kirchliche Stellen können teilweise gemäß Art. 91 DS-GVO eigenes Datenschutzrecht anwenden.

Sämtlichen Rechtsvorgaben zum Datenschutz ist jedoch gemeinsam, dass nur personenbezogene (oder personenbeziehbare) Daten lebender Menschen (natürlicher Personen) betrachtet und geschützt werden. Ausnahmen sind nach Erwägungsgrund 27 Satz 2 der DS-GVO im nationalen Recht möglich. Es gibt sie auch – vor allem im Sozial- und Gesundheitsbereich, z.B. in § 35 Abs. 5 SGB I und § 7 Abs. 1 Satz 3 HmbKHG, aber nicht für das hier behandelte Thema.

Da bei den Grabsteinfotografien personenbezogene Daten Verstorbener betroffen sind, findet sowohl kirchliches, als auch staatliches Datenschutzrecht keine Anwendung. Folglich bestehen aus datenschutzrechtlichen Gründen keinerlei Einschränkungen oder Verbote für die Ahnenforscher. Seltenere Ausnahme: Teils werden Grabsteine schon zu Lebzeiten „auf Vorrat“ gesetzt oder beim Tod des Ehegatten lässt der andere Ehepartner seinen Namen und sein Geburtsdatum bereits aufbringen. Dann gilt Datenschutzrecht und bei solchen Steinen muss die Genealogie warten – oder um Einwilligung bitten. Für eine Fotoaufnahme und die Veröffentlichung im Internet fehlt sonst die Rechtsgrundlage. Vor allem besteht kein überwiegendes berechtigtes Interesse: Wer seine Daten zu Lebzeiten auf einen privaten Grabstein graviert, rechnet nicht mit einer Internetveröffentlichung und wünscht sie üblicher Weise auch nicht.


Was gilt darüber hinaus?

Werfen wir ein Blick über den Tellerrand hinaus:

  • Das postmortale Persönlichkeitsrecht wurde in der Rechtsprechung als absolut geschütztes Rechtsgut aus der über den Tod hinausreichenden, gleichzeitig in die eigene Lebzeit vorauswirkenden Menschenwürde abgeleitet. Wahrzunehmen ist es durch nahestehende Angehörige (meist Erben oder Bestattungssorgepflichtige), soweit der Verstorbene nicht zu Lebzeiten spezielle Anordnungen getroffen hat. Durch eine Veröffentlichung der Grabstein-Fotografie wäre das postmortale Persönlichkeitsrecht jedoch nur beeinträchtigt, wenn eine Missachtung / Verunglimpfung des Verstorbenen oder eine vom Verstorbenen offensichtlich nicht gewünschte Einordnung / Zuordnung seiner Person zu befürchten wäre. Dies ist bei der Veröffentlichung für sich genommen und isoliert betrachtet nicht anzunehmen. Nur in besonderem Kontext könnte eine Missachtung und Gefährdung des Persönlichkeitsrechts Verstorbener anzunehmen sein, zum Beispiel: die missverständliche oder fehlerhafte Zuordnung eines Grabstein-Fotos dergestalt, dass sich der Eindruck einer Zugehörigkeit des Verstorbenen zur Waffen-SS ergibt.
  • Das in § 12 BGB einfachgesetzlich geregelte und von der Rechtsprechung weiterentwickelte Namensrecht ist ebenfalls nicht betroffen. Es schützt in erster Linie Namensträger davor, dass andere Personen unbefugt den gleichen Namen verwenden oder andere Personen dem Namensträger das Recht zur Namensführung bestreiten. Solche Rechtsverletzungen sind mit der Veröffentlichung von Grabsteinfotos nicht verbunden.
  • Das ebenfalls aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht am eigenen Bild ist einschlägig, wenn der fotografierte Grabstein tatsächlich mindestens ein Bildnis trägt. Gemäß § 22 Satz 3 und 4 Kunsturheberrechtsgesetz wird für die Veröffentlichung und Verbreitung im Internet von Bildnissen nach dem Tod der abgebildeten Person bis zum Ablauf von zehn Jahren die Einwilligung der Angehörigen benötigt. Angehörige in diesem Sinne „sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten“ (§ 22 Satz 4 KunstUrhG).
  • Bei urheberrechtlich relevanten Grabsteinen (bildhauerische Gestaltung, die künstlerisches Niveau erreicht) gilt der Grundsatz der sogenannten Panoramafreiheit. Danach dürfen Kunstwerke und urheberrechtlich geschützte Werke dann fotografiert und veröffentlicht werden, wenn sie von den berechtigten Personen dauerhaft in den öffentlichen Raum verbracht wurden. Für den Umfang des öffentlichen Raums ist in diesem Zusammenhang die Straßenperspektive maßgeblich: Alles von öffentlichen Straßen aus Wahrnehmbare darf wahrgenommen, fotografiert und veröffentlicht werden soweit nicht sonstige rechtliche Regeln entgegenstehen.
  • Für den mit öffentlich zugänglichen Friedhöfen in gewisser Hinsicht vergleichbaren Schlosspark Potsdam Sanssouci hat der Bundesgerichtshof (Urteile v. 17.12.2010, V ZR 45/10 u. 01.03.2013, V ZR 14/12) entschieden, dass die kommerzielle Verwertung im Grundstück angefertigter Fotografien von Bauwerken und Gartenanlagen auch dann der Entscheidung des Grundstückseigentümers unterliegt, wenn der Eigentümer der Allgemeinheit Zugang in das Grundstück gewährt hat. Diese Rechtsprechung ist in der Fachliteratur umstritten, stellt jedoch den aktuellen Meinungsstand des höchsten deutschen Zivilgerichts dar. Der Bundesgerichtshof hat in den genannten Entscheidungen nicht nur Fotografien mit kommerziellem Hintergrund behandelt (dieser Aspekt wird in der wissenschaftlichen Diskussion meist priorisiert oder sogar ausschließlich diskutiert), sondern ganz allgemein die Befugnis des Grundstückseigentümers betont, den Zugang zum Grundstück unter beliebige (rechtskonforme) Bedingungen zu stellen und auszugestalten (vgl. insbesondere BGH, Urteil v. 01.03.2013, V ZR 14/12 unter II. c] aa] [1] lit. a] der Gründe).

    Also besteht für den Grundstückseigentümer des Friedhofs die Befugnis und Möglichkeit, das Fotografieren auf dem Friedhof (nicht jedoch vom öffentlichen Straßenraum aus) gänzlich zu untersagen oder nur mit bestimmten Vorgaben (z.B. für bestimmte Zwecke, ohne Veröffentlichung im Internet) zuzulassen. Sofern Fotografien unter Verstoß gegen diese Vorgaben gefertigt werden, besteht ein Unterlassungsanspruch des Grundstückseigentümers gegen die vorgabenwidrige Verwendung der Fotografien. Solche Verbote muss der Eigentümer entsprechend bekanntmachen (z.B. als Teil der Friedhofsordnung am „Schwarzen Brett“ aushängen). So gilt beispielsweise nach der Friedhofssatzung von Frankfurt am Main seit Jahresbeginn: „Insbesondere ist es verboten […], ohne Erlaubnis Film-, Ton-, Video- oder Fotoaufnahmen, außer zu privaten Zwecken, zu erstellen oder zu verwerten […].“


Fazit

Datenschutzrecht gilt nicht immer, so beispielsweise nicht für verstorbene Menschen. Aber jenseits des Tellerrands ist auch kein rechtsfreier Raum.

Über den Autor: Prof. Dr. Ralph Wagner ist Vorstand des DID Dresdner Institut für Datenschutz, Vorsitzender des ERFA-Kreis Sachsen der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V. (GDD) sowie Mitglied des Ausschusses für Datenschutzrecht der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Als Honorarprofessor an der Technischen Universität Dresden hält er regelmäßig Vorlesungen und Seminare zum Thema Datenschutzrecht. Für Anregungen und Reaktionen zu diesem Beitrag können Sie den Autor gern per E-Mail kontaktieren.

Mitgliedschaften des Dresdner Instituts für Datenschutz